Am 1. September 2020 trat in Österreich der § 58c Abs. 1a des Staatsbürgerschaftsgesetzes in Kraft. Die Geschichte dieser Gesetzesänderung ist antizyklisch zur aktuellen konfliktbeladenen, tendenziell ausgrenzenden Weltlage.
Der Paragraph 58c Abs. 1a und 1b ermöglicht es den Nachfahren der durch das NS-Regime Verfolgten die Staatsbürgerschaft per Anzeige zu erwerben. Er ermöglicht dadurch auch, dass die Geschichte und Geschichten mit dem Tod der direkt Betroffenen nicht in Vergessenheit geraten. Er nimmt das geschehene Unrecht wahr und ernst und gibt den nachfolgenden Generationen die Möglichkeit, sich noch einmal bewusst mit Familiengeschichte, mit Heimatgefühl und vernarbter Verletzung auseinanderzusetzen.
So auch ich, Veronika Müller Mäder, Enkelin des Wiener Politikers und Soziologen Ernst Karl Winter, der durch seine kritische Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus vor dem Anschluss im März 1938 mit seiner Frau Margarete Winter-Svoboda und seinen sieben Kindern in die USA emigrieren musste.
Ich gehe dieser Möglichkeit, die österreichische Staatsbürgerschaft zu erlangen nach. Es berührt mich. Das Gespräch in der österreichischen Botschaft in Bern bewegt etwas in mir.
Diese Gesetzesvorlage nimmt ein uraltes und stets präsentes, in vielerlei Hinsicht äußerst schwieriges und schier unlösbares Thema auf, sei es im kleinen persönlichen Umfeld wie auch auf der großen politischen Bühne der Menschheitsgeschichte: den Gedanken und die Frage von Schuld, Vergebung und Versöhnung – die Suche und das Bestreben nach Frieden. Der Paragraph 58c setzt den Tendenzen der aktuellen Weltlage etwas entgegen, indem er Verbindung in einer Zeit des Trennenden zu schaffen versucht. Die Anträge für die österreichische Staatsbürgerschaft kommen aus aller Welt und legen ein unsichtbares Band der Zusammengehörigkeit um den Erdball. Vielleicht eine Art Heimatgefühl. Der Gesetzesartikel ist verknüpft mit Lebensgeschichten.
Was sind dies für Geschichten, die die neuen Staatsbürgerinnen und Staatsbewohner mitbringen? Welches Erleben steht dahinter? Wer waren diese Menschen, die ihnen bei der Flucht, in der Gefangenschaft, im neuen Lebensabschnitt Hilfe zukommen liessen? Wie haben es unsere Vorfahren geschafft, neu Fuß zu fassen? Wie kann der erfahrene und erlebte Schmerz aufgelöst werden, von der direkt betroffenen Generation, von den Nachfahren?
Eine Filmidee wächst.