Ein windiger Tag an der Donau. Es erinnert mich an den Föhn im Rheintal. Mild, mit einer gewissen Wildheit in jedem Windstoß. Am Ufer in den Steinen entdecke ich einen Schmetterling. Es scheint mir, als ob er wegen der Luftströmung nicht mehr starten kann.

Ich hebe ihn auf, um ihn an einen windgeschützten Ort in den Pflanzen zu bringen. Wie ich ihn so in der Hand halte, merke ich, dass er im Sterben liegt. Die Flügel bewegen sich, er möchte fliegen. Es geht nicht mehr. Sein Atem ist über die Hautoberfläche spürbar. Der kleine Körper bewegt sich heftig auf und ab.

Ob Tiere Todesfurcht haben können? Mir scheint, als sei der Schmetterling in einem Kampf, einem Ringen zwischen hier und dort. Zwischen Leben und Leben. Ich forme meine Hand zu einer Schale und nehme den Schmetterling mit auf den Spaziergang. Ich möchte ihm in diesem Ringen beistehen.

In rhythmischem Abstand wechselte sich die Folge von einem feinen Vibrieren, heftigen Atembewegungen, versuchtem Flügelschlag und Ruhe. Erschöpfung, Entspannung. Ich versuche, ihm Gelassenheit zu vermitteln, Gewissheit, dass es gut ist, dieser Schritt aus dem Körper schön ist. Bereits erlebt, von Ei zur Raupe, von Raupe zum Schmetterling.

Ich summe ihm eine Melodie. Es entsteht eine vertrauliche Nähe. Der letzte Atemzug. Ein andächtiger Augenblick für mich. Jetzt ist er gegangen. Das Leben ist ausgehaucht. Ich freue mich für ihn. Und bin doch traurig, ihn nie mehr wiederzusehen. So, in dieser Gestalt.

Und wenn ein Schmetterling, der in Brasilien mit den Flügel flattert, ein Wirbelsturm in New York auslösen kann – wie dies der Begründer der Chaostheorie, Edward Lorenz, als Merksatz seiner neuen Erkenntnis in den 1970er Jahren formuliert hat – dann frage ich mich, welche „nicht vorhersagbaren Veränderungen“ diese letzten Flügelschläge, der letzte Atemhauch, diese liebevolle Begegnung in sich tragen könnte.

„Schon der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien kann in Texas einen Orkan auslösen.“ Mit diesem Bild machte der Meteorologe Edward Lorenz das aufkommende Gebiet der Chaosforschung Anfang der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gewissermaßen über Nacht populär. Es stand für seine Beobachtung, dass minimale Störungen in nichtlinearen Systemen zu drastischen, nicht vorhersagbaren Veränderungen führen können.
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